Der Himmelfahrtstag als Hoffnung auf den Himmel als eigentliche Heimat des Menschen und als Happy End? Eine dialektische Betrachtung dieses christlichen Feiertages

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Der Himmelfahrtstag als Hoffnung auf den Himmel als eigentliche Heimat des Menschen und als Happy End? Eine dialektische Betrachtung dieses christlichen Feiertages

Rainer Langlitz
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Montag 23 Mai 2022
Der Himmelfahrtstag als Hoffnung auf den Himmel als die eigentliche Heimat des Menschen und als Happy End?
- Eine dialektische Betrachtung dieses christlichen Feiertages -


 
 
Einleitung:

 
40 Tage nach dem Osterfest und 10 Tage vor Pfingsten feiert die christliche Kirche immer an einem Donnerstag Christi Himmelfahrt. Die Apostelgeschichte berichtet in Kapitel 1, Verse 9 – 14 davon, dass der auferstandene Jesus mit seinen Jüngern zusammen war, als ihn eine Wolke erfasste und in den Himmel trug. Auch zwei der vier kanonischen Evangelien berichten von diesem Ereignis (Markus 16, 19 – 20; Lukas 24, 50 – 53).
 
 
Im folgenden Hauptteil dieses Aufsatzes soll dieses in der Bibel beschriebene Ereignis in dialektischer Weise betrachtet werden.[1]
 



 
Hauptteil:


 
1. These(n) zur Himmelfahrt im christlichen Monotheismus innerhalb der Kirche:





1.1. Der fundamentalistische Bibelzugang will die biblische Schilderung der Himmelfahrt Christi wortwörtlich verstanden wissen.

1.2. Die historisch-kritische Bibelauslegung versteht zwar Jesus von Nazaret als eine historische Person, die tatsächlich gelebt hat. Die historisch-kritische Bibelauslegung kommt jedoch auch zum Ergebnis, dass die Evangelisten nicht den historischen Jesus von Nazaret beschreiben, sondern dass sie diese historische Person bedingt durch den Osterglauben der ersten Jünger mit einem mythologisch bzw. theologisch konstruierten Jesus verknüpft haben. Jesus von Nazaret erhält dabei von den Evangelisten Hoheitstitel wie Messias / Christus, Menschensohn, Herr, Sohn Gottes. Bestimmte neutestamentliche Theologen gehen dabei davon aus, dass die Evangelisten in bestimmten Sätzen etwas beschreiben und dies dabei Jesus quasi in den Mund gelegt haben. Mit anderen Worten: Bestimmte Aussagen in den Evangelien stammen originär nicht von Jesus, sondern sind fiktiv („erfunden“).[2]

Weiterhin ist zu fragen, ob der historische Jesus sich selbst überhaupt als Sohn Gottes verstand.

Spätestens mit dem Neutestamentler Rudolf Bultmann (1884 – 1976) beginnt ein Wendepunkt - besonders innerhalb der protestantischen Theologie (Programm der Entmythologisierung als bestimmtes hermeneutisches Verfahren). So schreibt Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., im Jahr 1968 in seinem Buch „Einführung in das Christentum“ (Zitat):
 
 
„Die Rede von der Himmelfahrt bedeutet unserer von Bultmann kritisch erweckten Generation zusammen mit derjenigen vom Höllenabstieg den Ausdruck jenes dreistöckigen Weltbildes, das wir mythisch nennen und für definitiv überwunden ansehen. […].“[3] Ratzinger schreibt weiter (Zitat): „Der Himmel ist zu definieren als das Sichberühren des Wesens Mensch mit dem Wesen Gott; dieses Ineinstreten von Gott und Mensch ist in Christus mit seinem Übertritt über den Bios durch den Tod hindurch zum neuen Leben endgültig geschehen. Himmel ist demnach jene Zukunft des Menschen und der Menschheit, die diese sich selbst nicht geben kann, die ihr daher, solange sie nur auf sich selbst wartet, verschlossen ist und die erstmals und grundlegend eröffnet worden ist in dem Menschen, dessen Existenzort Gott war und durch den Gott ins Wesen Mensch eingetreten ist.“[4]
 
 
Die Himmelfahrt Christi ermöglicht nach Meinung von Ratzinger eine Öffnung des Himmels als eine mögliche Zukunft des Menschen und der Menschheit.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Anmerkung, dass mit Himmel sicherlich nicht der von jedermann sichtbare Wolkenhimmel gemeint ist, sondern eine andere Form des Jenseits. So unterscheidet auch die englische Sprache diese beiden Formen des Himmels: sky und heaven.
 
 
In seinem zweibändigen Werk „Tiefenpsychologie und Exegese“ vergleicht Drewermann zunächst die Himmelfahrt Christi mit einem quasi schamanistischen Flug, durch den sowohl die Transzendenz wie die Freiheit erreicht wird.[5] Drewermann schreibt: „Ohne zu zögern wird man sagen können, daß ein Mensch in seiner Persönlichkeit gerade so viel wert ist, wie er von dieser Möglichkeit (sc. der Erhebung der Seele zum Himmel) realisiert, sich über die Begrenzungen des irdischen Lebens hinauszuschwingen, seine Seele zu sammeln im Herzen aller Dinge und sich zu erheben zu der himmlischen Ruhe ewigen Lichts.“[6] Auch Eugen Drewermann erkennt also in der Erzählung von der Himmelfahrt Christi im Ort des Himmels einen Ort der himmlischen Ruhe, zu der der Mensch in seiner Persönlichkeit bestimmt sei.
 
  
 
 
2. Antithese(n) zur Himmelfahrt innerhalb des Atheismus und des Deismus:
 
2.1. Atheismus:
 
Der Atheismus ist eine allgemeine Gegenrede auf jegliche Rede über Gott bzw. Götter und im weiteren Sinne über Religion im Allgemeinen. Der Atheismus sieht sich rein der (Natur-) Wissenschaft verpflichtet. Schon von daher wird deutlich, dass der Atheist mit der Rede von der Himmelfahrt Christi wenig bis gar nichts anfangen kann.

2.2. Deismus:
 
Der Deismus lässt eine minimale Rede über Gott zu. Gott wird innerhalb des Deismus als Schöpfer der sichtbaren Welt angenommen und damit postuliert. Die Vorstellung, dass sich Gott in Jesus Christus offenbart habe, lehnt jedoch der Deismus ab. Somit wird auch jeglicher Supranaturalismus abgelehnt, so dass gleichzeitig die Vernunft und die Wissenschaft in den Vordergrund gerückt werden. Somit dürfte klar sein, dass auch der Deismus eine Vorstellung einer Himmelfahrt Christi ablehnt – allein schon deswegen, weil die Vorstellung eines in Christus dem Menschen offenbarten Gottes für Deisten ein Problem darstellt. Gott wird im Deismus postuliert. Es wird jedoch im Deismus die Theorie vertreten, dass angesichts der Realität darauf zu schließen sei, dass Gott nicht in diese Welt eingreife und Gott auch von daher nicht auf Gebete von Menschen reagiere. Insofern lehnt der Deismus die Vorstellung, Jesus sei der von Gott in die Welt gesandte Sohn Gottes als offenbarter Gott, ab. Infolgedessen erübrigt sich für den Deisten die Rede von der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi.
 



 
3. Synthese zur These und Antithese:

 
Sicherlich sind sich These und Antithese darin einig, dass unser irdisches Leben als Menschen begrenzt ist und insofern einer Einengung unterliegt, die mit Angst verbunden sein kann. Menschen haben sich seit jeher Gedanken gemacht darüber, was nach dem Tod sein könnte: Archäologen fanden bereits bei altsteinzeitlichen Kulturen Grabbeigaben in Zusammenhang mit Totenbestattungen, die darauf schließen lassen, dass sich Menschen schon immer die Frage gestellt haben, was nach dem Tod sein könnte. Die Beschäftigung mit dieser Frage, was nach dem Tod sein könnte, zieht sich durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte bis in die Gegenwart. Im Rahmen der kulturellen Entwicklung von diversen Religionen versucht der Mensch sich eine Antwort zu geben auf diese Frage. Dennoch muss leider oder zum Glück gesagt werden, dass niemand von uns Menschen eine gesicherte Antwort auf diese Frage parat hat. Für den Deisten ist es eher wichtig, den „Glauben“ mit der Wissenschaft in Einklang zu bringen. Dies unterscheidet ihn vom christlichen Monotheisten in fundamentaler Weise: Während der Deist die Zusammenhänge zwischen Gott-Mensch-Welt objektiv betrachten will, so stützt sich der christliche Glaube auf den Glauben der Urchristen und auf deren Aussagen im Neuen Testament, wie Andreas Lindemann in jenem oben angeführten Interview am Schluss in jenem SPIEGEL-Interview aus dem Jahr 1999 zum Ausdruck bringt. Es kann dabei innerhalb des christlichen Glaubens auch ein Graben zwischen Wissenschaft und christlichem Glauben entstehen, so dass Wissenschaft und Glaube nebeneinander existieren, was für den Deisten fast undenkbar ist.
 
 
Für mein Verständnis kann also lediglich eine Synthese zum Himmelfahrtstag darin gesehen werden, einen Umgang mit unserer Angst vor dem Tod zu finden. Diese Angst vor dem Tod ist möglicherweise eine allgemein menschliche Angst, mit der jedoch unterschiedlich umgegangen wird. Es scheint mir feststellbar, dass sich Monotheisten im Glauben darin festmachen, nach ihrem Tod vor und bei Gott zu sein. Es scheint mir auch feststellbar zu sein, dass Deisten in realistischer Weise die Frage eher offen lassen, was nach dem Tod sein wird, während Atheisten diese Frage wohl eher immanent auf das Diesseits bezogen und befristet sehen.
 



 
Fazit:

 
Ich würde behaupten wollen, dass der Himmelfahrtstag („Christi Himmelfahrt“) selbst für viele gläubige Christinnen und Christen - theologisch und für den christlichen Glauben – eher weniger wichtig ist. Für viele Menschen ist dieser Feiertag ohnehin eher der „Vatertag“ neben dem wenige Tage voraus gegangenen „Muttertag“. Einigen Christinnen und Christen mag dieser Feiertag („Christi Himmelfahrt“) dennoch Anlass sein, einen Gottesdienstbesuch wahrzunehmen und also den Gang in die Kirche anzutreten, wobei der Gottesdienst an Christi Himmelfahrt auch oft im Freien stattfindet – zumindest bei schönem Wetter.
 
Könnten wir diesem Feiertag also gemäß Hegels Dialektik die Bedeutung zuschreiben, unserer Sehnsucht nach einem Leben nach unserem Tod Nahrung zu geben! Bereits das Osterfest, das schon immer in der Frühlingszeit und damit während des Erwachens der Natur nach der Winterzeit gefeiert wurde, hatte den christlichen Vorgesang auf den Sieg über den Tod geliefert. Nun also bringt der Himmelfahrtstag die christliche Ode vom Sieg über den Tod zum finalen Abschluss: alles um Jesus ist gut ausgegangen. Die Erzählung von der Himmelfahrt Christi bringt das irdische Leben und den grausamen Tod des Gekreuzigten 40 Tage nach Ostern zum einem imposanten Ende, indem der als von Johannes angenommene präexistente Christus wieder in den Himmel zu Gott auffährt und von nun an zur Rechten Gottes sitzt, wie es im apostolischen Glaubensbekenntnis heißt.

 
Verfolgt von der Angst vor dem Tod und damit vor dem Ende einer menschlichen Existenz müssten wir lernen, vertrauensvoll im gegenwärtigen Moment zu leben: Schauen wir auf uns und auf das Jetzt und Heute. Bleiben wir im Jetzt. Lieben und leben wir bis zum letzten Atemzug. Wir sind nicht allein. Aus Liebe sind wir gekommen – zur Liebe gehen wir. Genau so wird Jesus in der Bibel beschrieben: in und trotz der Angst vor dem bevorstehenden Tod und trotz der zu befürchtenden Qualen am Kreuz geht Jesus vertrauensvoll weiter. Sein Blick ist perspektivisch nach vorne gerichtet – nicht nach hinten. Hebräer 13,14 bringt es auf den Punkt: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ In dieser Sicht stellt der Himmelfahrtstag nicht nur für Jesus ein „Happy End“ dar. Die Angst wird und muss nicht geleugnet oder verdrängt werden. Aber es soll und darf laut Bibel und laut Altes und Neues Testament tief darauf gehofft werden, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Diese hoffnungsvolle Sichtweise könnten wir in allen Religionen erkennen. Sie ist möglicherweise Teil einer allgemein zum Menschen gehörigen Sichtweise.
 
 
Vgl. dazu auch meine Aufsätze:

Sterben ins Nichts? (Link, hier)
 
Leben im Heute (Link, hier)
 
 
Rainer Langlitz

 

   
[1] Unter Dialektik wollte der große und wichtige Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) eine Abwägung von These und Antithese verstanden wissen, die in eine Synthese mündet.

[2] Andreas Lindemann in einem SPIEGEL-Interview aus dem Jahr 1999: „SPIEGEL: Wie sollen Christen sich das vorstellen: dass der auferstandene Jesus diesen Auftrag (sc. Missions- und Taufbefehl) auf wunderbare Weise aus dem Jenseits erteilt hat oder dass die Urchristen ihm dies in den Mund gelegt haben? Lindemann: Letzteres. Der Evangelist Matthäus hat den Taufbefehl formuliert, um die von der urchristlichen Gemeinde von Anfang an geübte Taufpraxis zu legitimieren.“ (Link, hier)
 
[3] Joseph Ratzinger, Einführung ins Christentum, München, 10. Auflage 1969, Seite 257.
 
[4] A.a.O, Seite 260.
 
[5] Vgl. Eugen Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese Band II, Olten und Freiburg im Breisgau, 4.Auflage 1992
 
[6] A.a.O., Seite 325.
 
 


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