Unser Vater

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Unser Vater

Rainer Langlitz
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Essays · Samstag 23 Mai 2020

Unser Vater

- Zur Rolle des leiblichen und des himmlischen Vaters -

 
Das Verhältnis zwischen Sohn und Vater bedingt oftmals in unserer Biographie Konflikte, jedoch auch viele positive Erfahrungen.
 
Konflikte aus unserer Kindheit begleiten uns unser Leben lang. Sie müssen verdaut, verarbeitet und verstanden werden.
 
Wikipedia schreibt in einem Artikel über Sigmund Freud (1856 - 1939):
 
„Auf die frühkindlichen Erfahrungen geht auch Freuds ontogenetischer Ansatz ein: Das ambivalente Verhältnis des Kindes gegenüber dem Vater setzt sich im Glauben des Erwachsenen fort. Er erkennt, dass er auch als solcher sich nicht völlig gegen fremde Übermächte wehren kann, weswegen er seinen Schutz im Gottesglauben sucht. Die Götter fürchtet er, trotzdem überträgt er ihnen seinen Schutz.“
 
Weiterhin schreibt Wikipedia über Sigmund Freud:
 
„Freud bezeichnet sich selbst als einen Feind der Religion „in jeder Form und Verdünnung“ und steht somit in der Tradition Ludwig Feuerbachs (dessen Thesen er als seine philosophische Grundlage ansieht) und Friedrich Nietzsches (dem er zugesteht, etliche Einsichten der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben). Auch Arthur Schopenhauers Schriften hatten großen Einfluss auf den jungen Freud.“

 
Interessant ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Projektionstheorie Ludwig Feuerbachs:

 
„Nach Ludwig Feuerbach (1804 – 1872) ist Gott die Summe aller Wünsche nach Unsterblichkeit, Vollkommenheit, Glückseligkeit, Gleichberechtigung eines Menschen, der diese aber nicht als eigene Wünsche erkenne, sondern diese auf eine Gottheit projiziere. Der Mensch werde dabei mit der Betonung von Eigenschaften wie endlich, sündhaft, unvollkommen und ohnmächtig als negatives Extrem dargestellt. Als Kontrast stelle sich dieser Mensch seine Gottheit versehen mit den Eigenschaften seiner Wünsche vor, so wie er selbst zu sein wünsche: unendlich, ewig, vollkommen, mächtig und vor allem heilig.

 
Diese Gottheit werde benutzt, um den Mitmenschen eine Macht überzuordnen, mit der Autorität, Gesetze zu erlassen, die von allen Mitgliedern der Gesellschaft beachtet würden. Damit sichere sich jeder Mensch seinen Schutz vor Übergriffen seiner Mitmenschen auf sein Naturrecht. Zugleich aber verliere er den Teil seiner Wünsche als Teil seiner selbst, daher seien Religion und die Vorstellung eines Gottes negativ zu betrachten. Feuerbach kommt zu der Forderung, Theologie müsse Anthropologie und Physiologie werden. Der Mensch müsse für den Menschen das höchste Wesen werden. Der Mensch soll vom Gottesfreund zum Menschenfreund werden.“ Vgl. Wikipedia, Art. „Projektionstheorie“

 
Weiterhin interessant ist in diesem Zusammenhang in jedem Fall auch folgende Erkenntnis:
 
Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) war Sohn eines protestantischen Pfarrers. Bereits im jungen Alter von fünf Jahren verliert der Junge Friedrich seinen Vater. Ich sehe in diesem traumatischen Ereignis einen Zusammenhang zur Biographie Nietzsches. Inwiefern? In seinem Werk „Die fröhliche Wissenschaft – Also sprach Zarathustra“ läßt Nietzsche einen Menschen ausrufen: „Gott ist tot!“ Ich sehe hierin einen Zusammenhang zwischen dem traumatischen Verlust seines leiblichen Vaters und diesem Ausruf „Gott ist tot“ als Tod Gottes. Auch hier ist eine Kopplung (Verbindung) zwischen leiblichem Vater und himmlischem Vater zu erkennen.

  
Ja, in der Tat ist es so, dass das Verhältnis zwischen Sohn und Vater einen direkten Einfluss auf unser Gottesbild hat. Das Verhältnis zwischen leiblichem Vater und Sohn hat direkten Einfluss auf das Bild vom himmlischen Vater.
 
 
Es gibt genügend Beispiele und Argumente, die diese These stützen.

 
Doch nicht nur das Verhältnis zwischen Sohn und leiblichem Vater prägt unser Gottesbild, sondern auch unsere gesamte Sozialisation (Erziehung, Schulbildung, Aufwachsen in Jugend und Pubertät etc.) wirkt sich auf unser Gottesbild aus.
 
 
Wurde unser „Über-Ich“ stark angesprochen während unserer Sozialisation, so kann zweierlei passieren:
 

1.) Wir prolongieren diese Prägung unseres Über-Ichs und entwickeln ebenfalls ein Bild von einem strafenden Gott, vor dem man Angst haben muss. (Vgl. dazu Tilmann Moser, Gottesvergiftung).
 

2.) Wir emanzipieren uns von dieser Prägung unseres Über-Ichs und entwickeln ein nahes, liebevolles Gottesbild, zu dem ich mich gerne hinwende.
 
 
In jedem Fall hat das Nähe-Distanz-Verhältnis zwischen Sohn und leiblichem Vater Auswirkungen auf unser Gottesbild:
 

Die Erfahrung der Ferne kann entweder bleiben oder sie kann kompensiert werden.

 
Die Erfahrung der positiven Nähe bleibt meistens erhalten.

 
Jesus nannte Gott in vielen Situationen „Abba“ (= lieber Vater, Papa).


Ich kann an dieser Stelle auch von mir sagen, dass der Wunsch, evangelische Theologie studieren zu wollen bzw. sich mit Gott und dem Glauben zu beschäftigen, eine Auseinandersetzung mit meinem leiblichen Vater darstellt.

 
Wir haben ein Bild von unserem leiblichen Vater:

 
---> distanziert
 
---> gerecht
 
---> streng
 
---> liebevoll
 
---> beschützend
 
---> sorgend (der, der das Geld nach Hause bringt etc.)
 
---> jähzornig
 
---> der nahe und gegenwärtige Vater
 
 

Väter meinen es in aller Regel gut mit ihren Kindern.

 
Es gibt jedoch auch das Phänomen der Homophobie: der Vater verhält sich extrem distanziert zu seinem Sohn, weil in ihm bei Annäherung zu seinem Sohn der Verdacht der Homophilie ("Homosexualität") unbewusst aufkommt und deswegen sofort verdrängt, ja verboten wird. Sigmund Freud erkannte von daher in Sophokles Werk „König Ödipus“ den sogenannten Ödipuskonflikt.

 
Wir können das oft nicht steuern.

 
Es ist, wie es ist.

 
Und:

 
Es ist, was es ist, sagt die Liebe. (Erich Fried, Was es ist)

 
Wir müssen die Dinge oftmals sich entwickeln lassen.
 
Wir können nicht alles steuern.
 
Wir können vieles falsch machen in Sachen Erziehung.

 
In aller Regel dürfen wir jedoch stolz sein, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Kindern einigermaßen gelingt.
 
Was dabei gelingen heißen mag, müsste im Einzelnen diskutiert werden.

 
Abschließend sei an den Psychoanalytiker Erik H. Erikson (1902 – 1994) und dessen Phasenmodell erinnert:


In diesem Phasenmodell wird jede Krise durch Polaritäten charakterisiert:

Urvertrauen – Urmisstrauen
Autonomie – Scham/Zweifel
Initiative – Schuldgefühl
Leistung – Minderwertigkeitsgefühl
Identität – Identitätsdiffusion
Intimität – Isolation
Generativität – Stagnation
Ich-Integrität – Verzweiflung
 

Wir durchlaufen in unserem Leben Krisen, durchleben Konflikte und müssen uns Problemen stellen.

Wir erkennen etwas.

Je mehr wir erkennen, desto besser wird es uns ergehen, denn:

Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung!

"Gnothi seauton!" - Erkenne dich selbst!

Erkenntnis ist wichtig. Sich selbst erkennen zu können, ist Ausdruck des Menschlichen und unterscheidet uns in aller Regel vom Tier.

Selbsterkenntnis ist die Voraussetzung für Selbstachtung und für Selbstliebe.

Nur wer sich selbst liebt, kann andere Menschen annehmen, achten und akzeptieren.

Das Gegenteil trifft auch zu:

Wer sich selbst nicht liebt, kann andere Menschen nicht annehmen, achten und akzeptieren.

Vgl. dazu Bäbel Mohr, Das Wunder der Selbstliebe

Vgl. dazu Alice Miller, Das Drama des begabten Kindes


Rainer Langlitz





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