Theodizee

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Theodizee

Rainer Langlitz
Veröffentlicht von Rainer Langlitz in Theologoumena · Mittwoch 09 Sep 2020

Theodizee

- Gott und die Allmacht -


Grundlage dieses Blogbeitrags mit dem Titel "Theodizee" ist ein Vortrag in Worthaus von Prof. Dr. Thorsten Dietz, den ich resümierend in fünf Punkten kommentieren möchte (siehe dazu unten mein Feedback in Form einer wertschätzenden Rückmeldung).

Hier der Link zu jenem Vortrag von Prof. Dr. Dietz:


Dieser Vortrag von Prof. Dr. Dietz trägt den Titel: "Die Macht".

Dietz (im folgenden Text auch "Redner" oder "der Vortragende" genannt) erörtert in seinem "Worthaus-Beitrag" die Frage, ob bzw. wie wir Menschen die Liebe Gottes in Zusammenhang mit der Allmacht Gottes und dem unbeschreiblichen Leiden in dieser Welt in Kombination denken können ("Theodizee-Frage"). Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese drei Aspekte (Liebe und Allmacht Gottes im Zusammenhang mit dem Leiden auf dieser Welt) nur prospektiv im Sinne einer Teleologie gedacht werden können. Der Vortragende sagt, es sei mehr oder weniger nur möglich, auf die Allmacht Gotts zukünftig (pro-spektiv) in Geduld zu hoffen. Die Allmacht Gottes sei in seiner Liebe zu sehen.

Zum zweiten stellt sich Dietz die Frage, ob man heute eigentlich noch bewusst Christ sein könne bzw. ob man noch bewusst an Gott glauben könne.

Sein Schlusssatz in seinem o. g. Vortrag lautet:

"Von Gott können wir nur noch hoffend reden: hoffend auf die Allmacht Gottes, die die Macht seiner Liebe ist."
 
 

Zu seinem Vortrag im einzelnen:

 
 
Dietz stellt eingangs die Frage: „Ist Gott allmächtig? Ja oder nein?“
 
 

Prof. Dr. Dietz versetzt sich bei dem Versuch, eine Antwort auf die Theodizee - Frage zu finden, zunächst in einen Menschen, der quasi eine Durchschnittsantwort im Sinne einer Standardtheologie geben würde.

 
Diese Standardantwort wäre:

 
Gott gewährt Freiheit. Diese Gewährung von Freiheit bedingt, dass Gott Dinge zulässt und gewähren lässt; dass er nicht eingreift, sondern sich distanziert verhält.

 
 
Der Redner geht dann auf ein Werk Dostojewskis ein: „Die Brüder Karamasow“. In Anlehnung an dieses Werk will er damit eine theologische Antwort höherer Qualifikation finden. In "Die Brüder Karamasow" erzählt Dostojewski von einem Gespräch zwischen zwei Brüdern: Iwan und Aljoscha. Dietz sieht in diesem Gespräch zwischen Iwan und seinem Bruder Aljoscha eine besondere Schlüsselfunktion.

Worum geht es im Werk "Die Brüder Karamasow"?
 
 
Iwan, der voller Zweifel in Bezug auf den Glauben an Gott ist, konfrontiert seinen Bruder Aljoscha, der christlicher Mönch ist, nicht mit dem Tod und dem Leiden von Millionen von Menschen, sondern mit vielen kleinen Geschichten von dem Leiden einzelner (!) Menschen. Er provoziert damit seinen Bruder Aljoscha. Iwan erzählt z. B. eine Geschichte von einem 3-jährigen kleinen Mädchen, das operiert werden muss. Das Mädchen hat große Angst vor Spritzen, der Betäubung und vor der Operation. Der Vater des kleinen Mädchens sagt jedoch: „Ich bin und bleibe vor und während der Operation bei dir. Du brauchst keine Angst zu haben, mein liebes Kind!“. Der Papa hält auch tatsächlich die Hand, bis sie schließlich betäubt ist. Dann jedoch hört der Vater: „Es gab Komplikationen. Es gab einen Herzstillstand. Aber trotzdem ist die OP gut geworden.“ Dennoch ist das kleine Mädchen nach der OP völlig verstört. Es spricht nicht mehr. Schließlich sagt das Mädchen: „Ich hatte große Angst. Ich habe mich während der OP von oben gesehen. Aber du warst nicht da.“ Das Mädchen muss wohl im Alter von 3 Jahren eine Nahtoderfahrung gemacht haben.

 
Iwan stellt nun die provozierende Frage, wie Gott es zulassen kann, dass bereits unschuldige Kinder derart leiden müssen.
 

Aljoscha, der ein gläubiger Mönch ist, antwortet: „Ich setze meine Hoffnung auf Jesus Christus. Ich klammere mich an ihn.“
 
 
Es wird dann aus der Offenbarung des Johannes Kapitel 5 zitiert, einer Vision des Johannes. Es geht um ein Buch mit sieben Siegeln, das niemand öffnen konnte. In Vers 3 heißt es:

 
„3 Und niemand in dem Himmel, auch nicht auf der Erde, auch nicht unter der Erde konnte das Buch öffnen.“

 
Die Kritik geht dahin, dass Jesus hier als Joker gesehen wird, der in der Frage der Theodizee als Schlüsselantwort manchmal zu leichtfertig herangezogen wird.

 
Schließlich erzählt Iwan die „Geschichte vom Großinquisitor“. Worum geht es dabei?

 
Diese Geschichte handelt vom Christentum Spaniens im 16. Jh., wo die Hl. Inquisition gewütet hat. Iwan stellt die Frage: „Was wäre, wenn Jesus inmitten dieser Welt wiederkommen würde?“

Innerhalb dieser Geschichte "Der Großinquisitor" kommt Jesus tatsächlich wieder. Jesus heilt wieder und tut erneut Wunder. Jesus vergibt wieder. Jesus weckt erneut Tote auf. Doch dann kommt der Großinquisitor. Er läßt Jesus verhaften. Jesus wird abgeführt. Jesus wehrt sich nicht – wie damals. Jesus ist nun in der Gefängniszelle des Großinquisitors. Dieser sagt zu Jesus: „Du willst die Menschen durch ihre Liebe gewinnen. Die Menschen sind für deine Vision aber zu schwach. So kann man eine Gesellschaft nicht gestalten. Wir haben gelernt, dass es nicht ohne Zwang und nicht ohne Macht geht. Ohne Ausübung von Macht können wir die Menschen nicht bändigen. Morgen werde ich dich verbrennen, weil du, Jesus, dies verhindern willst.“ Jesus sagt kein Wort. Schließlich gibt Jesus dem Großinquisitor einen Kuss. Daraufhin öffnet der Großinquisitor das Gefängnis und sagt zu Jesus: „Geh! Verschwinde - und komm nie wieder...!"
 

Wikipedia beschreibt den Inhalt dieses Werkes so:


 
 
„Die Brüder Iwan und Aljoscha Karamasow treffen sich in einem Gasthaus. Der jüngere Aljoscha ist ein tiefgläubiger Mönch, während Iwan ein atheistischer Intellektueller ist. Nach einer „literarhistorischen Vorrede“ zu Beispielen von Erzählungen, in denen „die himmlischen Mächte auf die Erde herabgeholt werden“, beginnt Iwan mit der von ihm erdachten Erzählung über den Großinquisitor.
 
Es ist das Zeitalter der Inquisition, Sevilla im 16. Jahrhundert. Soeben sind hundert Häretiker qualvoll hingerichtet worden, als Jesus Christus erscheint. Obwohl er kein Wort spricht, wird er von allen, die ihn sehen, erkannt. Als ein blinder Greis bittet „Herr, heile mich, damit ich Dich schaue!“, lässt ihn Jesus sehend werden. Als ein totes Kind im Sarg in den Dom getragen wird und die trauernde Mutter ihn darum bittet, vollbringt Jesus ein zweites Wunder und erweckt das Kind wieder zum Leben.

Dies wird vom Kardinal-Großinquisitor bemerkt, der fast 90-jährig und mit grober Mönchskutte bekleidet Jesus aus der Ferne beobachtet. Er befiehlt seinen Wachen, Jesus zu ergreifen. Das Volk ist so unterwürfig und gehorsam, dass es die Verhaftung geschehen lässt und Jesus wird in ein Verlies im Gebäude des Heiligen Tribunals gebracht.

In der Nacht tritt der Großinquisitor in das Verlies und beschuldigt Jesus in einem langen Monolog, dass er kein Recht habe, auf die Erde zurückzukommen und „die Ordnung zu stören“, welche die römisch-katholische Kirche in über tausend Jahren errichtet habe. Dafür werde er ihn am nächsten Morgen als „schlimmsten aller Ketzer“ zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilen.
 
An dieser Stelle fragt Aljoscha Iwan, ob die Aussage des greisen Großinquisitors in dieser Geschichte Iwans zügellose Phantasie sei oder ob es sich um ein unerhörtes qui pro quo handele. Iwan erklärt lachend, das dies keine Rolle spiele. Der Greis „sage das laut, was er die ganzen neunzig Jahre verschwiegen hat“ – aus welchen Gründen auch immer.

 
Obwohl Jesus weiterhin schweigt, führt der Großinquisitor aus, dass er, wer immer er auch sei, kein Recht habe, „dem, was er schon früher gesagt habe, etwas hinzuzufügen“. Die Kirche habe diese Aufgabe fünfzehn Jahrhunderte lang übernommen und die Menschen von der Freiheit durch Christus überzeugt – wodurch die Menschen ihre Freiheit der Kirche zu Füßen gelegt hätten.

 
Wieder unterbricht Aljoscha, diesmal mit der Frage, ob sich der Großinquisitor lustig mache, es ironisch meine. Dies sei nicht der Fall, erklärt Iwan. Der Greis sei überzeugt, dass das rebellische Wesen der Menschen durch die Inquisition überwunden werde und sie dadurch frei würden, auf dem einzig richtigen Wege, dem der Kirche, zu gehen.

 
Der Großinquisitor wendet sich dem Gespräch Jesu mit dem Teufel in der Wüste zu (Mt 4,1–11 EU):[1] Er wirft Jesus vor, das Brot, das Wunder und die Macht, die der Satan ihm angeboten hatte, zurückgewiesen und damit der Menschheit eine Freiheit gegeben habe, mit der diese gar nichts habe anfangen können und die seitdem im Elend lebe. Es gebe für Menschen nichts Qualvolleres als die Freiheit des Gewissens, entscheiden zu können, was Gut und was Böse sei – und dies sei Jesus’ Werk gewesen. Indem er sich den drei Fragen hingegeben hätte, hätte er die Menschen automatisch von dieser Seelenqual befreien können. Auch vom Kreuz sei er nicht vor aller Augen herabgestiegen, um durch dieses Wunder alle Menschen direkt überzeugen zu können. Gerade das habe aber die Kirche geleistet. Sie habe den schwachen Menschen ein Geheimnis gegeben, dem sie sich blind unterordnen könnten. Sie habe die Lehre verbessert und sie auf strikte Autorität gegründet – und damit die menschliche Bürde erleichtert. Der greise Großinquisitor bekennt sich zum Antichrist: „Wir sind nicht mit Dir im Bunde, sondern mit ihm, das ist unser Geheimnis!“ Die Kirche habe vor acht Jahrhunderten Rom und das Schwert des Kaisers vom „mächtigen Geist“ empfangen, um die Weltherrschaft zu gründen und die Menschen vor sich selber zu retten, was Jesus mit der dritten Frage abgelehnt habe. Das Brot, das man verteile, sei zwar nicht aus Steinen durch ein Wunder entstanden, sondern man habe es denen weggenommen, an die es danach wieder verteilt werde – und sie würden sich darüber freuen! Durch ihr Handeln mache die Kirche alle Menschen glücklich, nur sie selber sei unglücklich und habe die Sünde auf sich genommen, da sie dieses Geheimnis bewahren müsse. Aber dafür könne selbst Jesus sie nicht verurteilen.
Schließlich bestätigt er erneut, dass Jesus verbrannt werde: „Schon am morgigen Tage wirst Du sehen, wie diese gehorsame Herde auf meinen ersten Wink hinzustürzen wird, um glühende Kohlen an Deinen Scheiterhaufen heranzuscharren ... dafür, dass du gekommen bist, uns zu stören.“

 
Erneut unterbricht Aljoscha, bezeichnet das Gehörte als „Unsinn“ und nur als die schlechtesten Elemente des Katholizismus. Iwan hält dagegen mit der Frage, wer in der katholischen Bewegung in den letzten Jahrhunderten sich nicht dem Verlangen nach Macht und „schmutzigen Güter“ hingegeben hätte. Der Großinquisitor sei am Ende seines Lebens ehrlich in der Erkenntnis, dass sich die armseligen, „nur zum Hohne geschaffenen Wesen Gottes“ nur durch die Weisungen des „furchtbaren Geistes“ und durch Lüge und Täuschung für glücklich halten. Es sei sein Unglück, im Alter zu erkennen, dass dies alles zwar im Namen Jesu, aber entgegen seinen Handlungen geschehe.

 
Der Großinquisitor wartet auf eine Antwort von Jesus. Der aber schweigt weiter und küsst den Greis auf die blutlosen Lippen, worauf der Großinquisitor die Kerkertür öffnet und den Gefangenen mit den Worten „… komm überhaupt nicht mehr wieder … niemals, niemals!“ entlässt.

 
Iwan hat seine Erzählung beendet und Aljoscha ist traurig über dessen Sichtweise. Iwan beruhigt ihn mit den Worten „alles nur Unsinn“ und „verrückte Dichtung eines verrückten Studenten“. Iwan bekennt sich zu seiner „Kraft der Karamasow’schen Gemeinheit“, zur Amoralität und radikalen Auffassung von Freiheit: „Alles ist erlaubt“. Als er seinen Bruder fragt, ob er sich deswegen nun von ihm lossagen werde, küsst ihn dieser als Antwort schweigend auf den Mund, was Iwan als „literarischen Diebstahl“ bezeichnet. Ehe die Brüder das Gasthaus verlassen und sich trennen – Iwan nach links in die Welt, vielleicht nach Amerika, Aljoscha nach rechts ins Kloster – verspricht Iwan seinem Bruder, dass er ihn aufsuchen werde, ehe er „mit dreissig Jahren Lust bekomme, den Becher auf den Boden zu schleudern“.


 
 
Was ist die Bedeutung dieser Erzählung?


 
 
Wikipedia führt aus:

 
„Swetlana Geier, die Dostojewskis Werke ins Deutsche übersetzt hat, gibt drei Aspekte an, die den (nur im Gesamtzusammenhang des Romans erfassbaren) Sinn dieser Geschichte ausmachen: Zum einen kritisiert Dostojewski damit das westliche Christentum und namentlich die römisch-katholische Kirche, die im Unterschied zum orthodoxen Christentum nur mehr nackte Macht verkörpere. Zum anderen drücke er mit der Geschichte die Weltsicht ihres Erzählers Iwan aus, die zwar durch Mitleid gekennzeichnet sei, aber in ihrem Verhaftetsein im Weltlichen beziehungslos und oberflächlich bleibe. Schließlich analysiere Dostojewski im Großinquisitor die Freiheit als eine Offenbarung des göttlichen Prinzips im Menschen. Dies werde erst durch die Gegenüberstellung der Geschichte vom Großinquisitor mit den im sechsten Buch wiedergegebenen „Gesprächen und Belehrungen des Starez Zosima“ deutlich, in denen dieser aus der ekstatischen Schau der Einheit allen Seins zu der für die Handlung des Romans zentralen Aussage kommt: „Alle sind an allem schuld“. Nur durch tätige Liebe lasse sich selbstlose Freiheit verwirklichen.

 
Der kirchenkritische Sinn der Legende scheint zunächst klar zu sein: Christus zeigt sich den Gläubigen, aber „seine“ Kirche fühlt sich durch ihn gestört, weil seine Gaben das Volk angeblich überfordern. Doch kann man auch Die Dämonen (Zweiter Teil, erstes Kapitel, Teil VI) als politischen Kommentar zur Legende vom Großinquisitor lesen. Viele Interpreten deuten den Großinquisitor in seinem Herrschaftswahn als Symbol einer kommenden antichristlichen und totalitären Epoche, als deren Protagonist Iwan Karamasow verstanden werden kann. Als Dostojewski die Legende vom Großinquisitor im Dezember 1879 vor Studenten an der Petersburger Universität vortrug, schrieb er eine Einführung, in der es heißt:

 
„Wenn der Glaube an Christus verfälscht und mit den Zielsetzungen dieser Welt vermengt wird, dann geht auch der Sinn des Christentums verloren. Der Verstand fällt dem Unglauben anheim, und statt des großen Ideals Christi wird lediglich ein neuer Turm zu Babel errichtet werden. Während das Christentum eine hohe Auffassung vom einzelnen Menschen hat, wird die Menschheit nur noch als große Masse betrachtet. Unter dem Deckmäntelchen sozialer Liebe wird nichts als offenkundige Menschenverachtung gedeihen.“
 
 
Zitat Ende.

 
Kommen wir zurück zum Vortrag von Prof. Dr. Dietz.

 
 
Dietz führt weiter aus, dass es beim Großinquisitor um das Problem der Kriminalgeschichte des Christentums geht. Der Großinquisitor steht stellvertretend für die Verbrechen der Kirche.

 
Macht es aber Sinn, die Kirche für ihre Verbrechen anzuklagen bzw. Jesus gegen die Kirche auszuspielen im Sinne der Aussage, dass Jesus eine andere Kirche gewollt habe? Schließlich sei die Kirche als Leib Christi zu sehen.

 
 
Dietz ist der Meinung, dass wir retrospektiv die Liebe Gottes nicht ohne Weiteres im Zusammenhang mit dem Leiden dieser Welt denken können.



 
Als weitere Literatur und als weiteren Gedankengang führt Prof. Dr. Dietz Immanuel Kant an. Bei Kant spielt „Vernunft“ und damit das Denken eine große Rolle: „Kann man das Leid erklären im Zusammenhang mit dem Gedanken, dass Gott Liebe und Allmacht zugleich ist?“

 
Kant sagt in dieser Frage: „Nein!“

 
Kant ginge es geht stattdessen darum, dass wir auf das Leiden mit Liebe antworten.

 
Kant spreche oft von einem Postulat. Er meine damit, dass es sich dabei nicht (!) um eine strenge Beweisführung handelt, sondern vielmehr um eine tiefe innere Intuition. Ein Postulat der moralischen Vernunft, das Kant aufgestellt hat, sei so zu verstehen:

 
Es sei nicht irrational zu denken, dass Gott das letzte Wort haben wird. Es sei ein Postulat der moralischen Vernunft, dass Lüge und Ungerechtigkeit nicht das letzte Wort haben dürfen. Begründung Kants hierfür: Es gibt auch eine moralische Logik angesichts der Logik und der Gesetzmäßigkeiten dieser Welt, nach der diese Welt und der Kosmos eben funktionieren würden.
 

Mit anderen Worten:

 
Retrospektiv sind die drei eingangs genannten Aspekte nicht in Kombination denkbar. Sie seien aber ggf. prospektiv – also in die Zukunft bis hin zu eschatologisch blickend – denkbar im Sinne, dass Gott das letzte Wort haben wird.

 
Abschließend präsentiert der Redner einen Gedankengang von Tomáš Halík.

 
Dietz führt dazu aus:

Christen könnten von Atheisten etwas Entscheidendes lernen:

 
Viele Christen haben Angst, am Glauben zu scheitern. Sie kriegen die Dinge um Gott und die Welt nicht mehr zusammen.

 
Mit Halík sagt Prof. Dr. Dietz diesen Christen: „Nicht dein Glaube ist gescheitert, sondern dein Gottesbild!“

 
Glauben bedeute heute nicht: „freeze!“…jetzt halte ich die Welt an und ziehe Bilanz. Glaube heiße Geduld: Das Wissen darüber, dass die Geschichte nicht vorbei sei und dabei auf Gott zu warten und zu hoffen.

 
Der Redner führt aus, dass sich das Bild von Gott in der Bibel verändert habe. Gott sei so, wie er ganz am Ende ist. So sei Gott eigentlich.

 
Nun könne man daran Kritik äußern à la:

 
„Vorher war aber Gott doch rachsüchtig!“

 
Dazu sagt der Redner, die Bibel sei eine Lerngeschichte. Sie sei eine Geschichte, wie Gott ist.

 
Abschließend kommt der Redner zum Ergebnis, dass man quasi lediglich hoffen könne, dass Gott letzten Endes allmächtig sei. Hier spricht er von einer "Theologie der Hoffnung" und führt die Rede von Martin Luther King an: „I have a dream!“ – einen Traum, dass irgendwann einmal die Menschen – Juden, Christen, Heiden sowie Schwarze und Weiße etc. - Hand in Hand die Allmacht Gottes besingen werden, und zwar hoffend auf die Allmacht Gottes, die die Macht seiner Liebe ist.
 
 



Dazu meinerseits folgendes Feedback:
 
 

1.) Theologie will von Gott reden. Kann sie das? Oder bleibt Gott perspektivisch ein Geheimnis bis zum letzten Moment dieser Welt?
 

2.) Können wir etwas über Gott wissen im Sinne von Erkenntnis? Wird durch diesen Vortrag nicht vielmehr deutlich, dass es der Mensch selbst ist, der sich Gedanken über (!) Gott macht und über (!) ihn philosophiert mit der Fragestellung: „Wer oder was könnte Gott sein?“ Wenn dem so ist, dass wir Menschen lediglich über (!) Gott nachdenken, dann macht es auch wenig Sinn zu sagen: „Das und das will Gott. Das und das hat er gesagt. Das und das sind seine Gesetze!“ Sind wir dann letzten Endes doch auf uns Menschen selbst gestellt zu formulieren, was gut und was schlecht („böse“) ist? Kant hat hierzu den sog. „kategorischen Imperativ“ entwickelt.
 

3.) Wie denkt sich der Redner Gott? Sieht er in Gott eine Entwicklung in seiner Person und seiner Eigenschaften? Wie soll dies denkbar sein im Zusammenhang mit der Bibel und angesichts seines Vortrags? Der Redner sagt: „So wie Gott am Ende ist, so ist er wirklich!“ Nun: wir werden – wenn es Gott gibt – natürlich Gott am Ende so erleben, wie er dann eben ist. Aber hatte er nicht auch ein "Davor"?

Letzten Endes ist dies jedoch alles theologische Spekulation. Es fragt sich, ob diese Gedankengänge überhaupt notwendig sind. Für mich geht es im Grunde genommen gar nicht um das Problem der Theodizee, sondern um den Aspekt der Anthropodizee. Vielleicht mache ich es mir als Deist an dieser Stelle aber auch zu einfach, denn ich blende das Eingreifen Gottes schlichtweg aus und versuche erst gar nicht mehr, Gott zu denken in Kombination zwischen seiner Liebe und seiner Allmacht im Zusammenhang mit dem Leiden auf dieser Welt. Man müsste von daher, wenn man Deist sein will, Gott eine gewisse Passivität vorwerfen und damit eine Form des Zulassens von Leid und Leiden. Müsste man ihm dann Tatenlosigkeit vorwerfen? Geht es stattdessen aber nicht vielmehr, wie es beim Redner auch teilweise anklingt, um den Aspekt der tätigen Liebe, sprich, geht es nicht vielmehr darum, dass wir Menschen es lernen, liebevoll zu handeln? Dies impliziert respektvolles Handeln im Sinne des kategorischen Imperativs Kants.

Mit anderen Worten:

In der Tat können wir die Theodizee-Frage nicht (!) lösen. Jeder Versuch wird zum Scheitern verurteilt sein. Jeder Versuch einer Lösung dieser Frage und dieses Problems wird nur leichtfertig gegeben werden können, was nicht sinnvoll ist.
 
 
Der Redner führt in diesem Zusammenhang aus, dass die Bibel selbst auch keine Antwort auf die Theodizee-Problematik liefere. Er sagt, dass selbst die Bibel diese Problematik von ihrer Lösung her offen lasse. Die Lösung bleibt in der Zukunft. Leichtfertig Jesus in allen Fällen als Joker – wie der Redner es nennt – zu ziehen, wäre zu billig.

 
Insofern sieht der Redner seinen Umgang mit der Theodizee-Problematik in einer "Theologie der Hoffnung" in Bezug auf die Zukunft. Hoffen ist zukunftsorientiert. Es sei auf die Allmacht Gottes zu hoffen. Es sei - mit Kant gesagt - zu hoffen, dass Gott das letzte Wort habe und dass sich seine Allmacht in Liebe erweise.
 
 
Zusammenfassend lässt sich für mich sagen:
 
 
4.) Inwiefern muss (!) Theologie dieses Problem überhaupt lösen? Und: Kann es überhaupt gelöst werden? Will Theologie dieses Problem lösen? Hat sie es sich zum Ziel gesetzt, kluge Gedanken zu finden, jene drei Aspekte in Einklang zu bringen, nämlich, Gottes Liebe und Gottes Allmacht angesichts des Leidens auf dieser Welt zusammen denken zu können?
 
 
Oder reicht es uns stattdessen nicht vielmehr zu sagen:

 
Gott ist Gott – nicht mehr und nicht weniger.

 
Der Mensch ist in der Verantwortung für das, was er denkt, sagt und tut bzw. was er tatenlos duldet und was er an Hilfe und Liebe unterlässt.
 
 
Müssen wir immer alles in ein System bringen à la:

 
„Ich habe eine Frage und brauche eine Antwort auf diese Frage.“


?

 
Könnte sich Theologie stattdessen nicht vielmehr auf die Antwort beschränken:

 
Gott ist Gott.

 
?

 
Wir können nicht auf alles eine Antwort haben.

 
Wir wissen nicht alles! Der Anspruch, alles (!) wissen zu wollen bzw. alles verstehen zu wollen bzw. den Anspruch zu haben, alles wissen und verstehen zu können, weist auf die Hybris des Menschen hin!

 
Natürlich ist auch dies leichtfertig gesagt!

 
Manchmal müssen wir uns aber sagen:

 
Es gibt auf einige Dinge keine (!) Antwort. Zumindest noch (!) nicht.

 
Wir müssen lernen, Dinge zu akzeptieren. Wir müssen aktiv werden, wo wir es können, um Leiden zu minimieren. Gleichzeitig muss jeder Mensch lernen, Verantwortung für sich und sein eigenes Leben zu übernehmen.

 
Die Frage, warum bereits Kinder leiden, stellt sich u. a. auch deswegen, weil der Mensch im Allgemeinen zur Emotion und zur Expression seiner Emotionen in der Lage ist, sprich: wir kommunizieren verbal und non-verbal unsere Trauer.

 
Natürlich machen das auch Tiere. Aber Tiere sind kognitiv nicht (!) in der Lage – sehr wahrscheinlich nicht – sich über theologische Fragen derart Gedanken zu machen. Ganz sicher leiden Tiere auch!

 
Wir müssen das Ganze auch von der Evolution her denken. Wir dürfen nicht alles ausschließlich theologisch denken. Was will ich damit sagen? Die Welt und das Universum sind entstanden. Der Mensch hat sich im Laufe von Millionen von Jahren heraus entwickelt. Tiere handeln instinktiv, nicht kognitiv und schon gar nicht theologisch kognitiv. Von daher ist es auch ein Problem der Evolution, dass der Mensch diese Fragestellung, wie alles zu erklären sei, entwickelt hat. Tieren ist dies völlig egal. Tiere leben einfach. Tiere pflanzen sich instinktiv fort. Tiere philosophieren nicht. Tiere fragen sich sicherlich nicht, warum sie leiden müssen. Sind wir aber nicht vielmehr Wesen, die vom Tierreich, sc. vom Affen abstammen? Wir stammen ab vom Tier. Tiere philosophieren nicht. Dennoch sind Tiere auch Teil dieser Schöpfung – sind Teil dieser Welt. Dass wir Menschen sind, haben wir uns nicht selbst ausgesucht. Es ist vielmehr so, dass es eine Entwicklung gab, gibt und geben wird. Insofern gibt es jenes Gesetz vom Werden und Vergehen - vom Kommen und Gehen - vom Leben und Sterben.
 
 
In diesem Sinne sei an das sog. "Gelassenheitsgebet" von Reinhold Niebuhr erinnert:

 
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."

 
Manch einer mag jetzt sagen: „Wie kannst du nur so kaltherzig sein und so kaltherzig denken…!??“
 

Diesen Menschen würde ich dann gerne sagen wollen:
 

Lies bitte meinen Beitrag unter…

 

5.) Kann Dietz zurecht behaupten, was er m. E. zu tun versucht, dass es darum geht, das Bild von Gott sozusagen weiter zu entwickeln? Öffnet Dietz damit nicht die Tür für jedwede Religionskritik wie z. B. Ludwig Feuerbachs "Projektionstheorie"? Ist es dann - wie ich ja letzen Endes auch sage - also legitim, Gott sozusagen "von unten nach oben" quasi aus der Perspektive von uns Menschen zu denken? Karl Barth würde dem entschieden widersprechen. Barth ist Theologe im Sinne eines ausschließlichen Denkens Gottes über den Menschen (!). Barth sagt in etwa: "Der Mensch hat in keiner Weise das Recht über (!) Gott zu reden. Vielmehr redet Gott über uns Menschen!" Sein "deus dixit" steht exemplarisch dafür. Zitat aus Wikipedia, Art. Karl Barth, Aufruf vom 10.09.2020:

"Barth setzte 1924 durch, über Unterricht in der christlichen Religion lesen zu dürfen, und grenzte seine Position dabei erstmals auch von Luther und Calvin ab. Gegen die liberale Tradition definierte er Dogmatik als „wissenschaftliche Besinnung auf das Wort Gottes“, nicht auf Religion. Das vom Prediger angenommene Zeugnis, „dass Gott selbst gesprochen hat“ (deus dixit), sei die einzige Legitimation aller Theologie. Durch viele Vorträge in ganz Deutschland erwarb sich Barth eine wachsende Anhängerschaft."

Zitat Ende.

Prof. Dr. Dietz reiht sich damit in die Reihe derer ein, die Theologie zum Zweck betreiben, angemessen (!) über (!) Gott reden zu können, um damit ein trag-, leb-, und glaubbares Gottesbild zu erlangen.


Rainer Langlitz


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